Von La Paz habe ich mir nicht viel angesehen, Städte sind wirklich nicht mein Ding. Die gestrige Ankunft im tiefer gelegenen Regenwald hat mir (trotz Sandfly-Attacke) richtig Lust gemacht auf mein nächstes Ziel hier in Bolivien – Rurrenabaque. Ich will es endlich mal wieder warm haben - bei Tag UND in der Nacht
Fliegen ist für mich der einzige Weg dorthin zu kommen. Es fährt zwar auch ein Bus aber der braucht wegen der gruselig schlechten Straßenverhältnisse für 350km 20 Stunden – nicht wirklich eine Option.
Die bolivianische Militär-Airline TAM bedient die Strecke mit Turbo-Prop Maschinen. Da wird Fliegen wieder richtige zum Abenteuer. Zum ersten Mal seit Jahren wird das Handgepäck nicht durchleuchtet. Hier schätzt man das Risiko durch versprengte Taliban offensichtlich nicht sehr hoch ein. Ein Flugzeug in Bolivien runter zu holen wäre selbst für diese Spinner kaum sinnvoll. So kriegt man keine 35 Jungfrauen im Paradies.
Wir fliegen nicht sehr hoch, die Aussicht ist atemberaubend. Vom Hochland an schneebedeckten Gipfeln vorbei hinunter in eine endlos grüne Ebene – der bolivianische Teil des Amazonas-Beckens. Landung auf einer Graspiste, sehr heftig und holprig. "Eine Landung soll ja kein Geheimnis sein", sagt sich wohl der Pilot.

Das Ankunftsgebäude, auch nicht State-Of-The-Art. Ich habe schon Schwimmbad-Kioske gesehen, die mehr her gemacht haben.

Auf dem Rücksitz eines Mopeds die kurze Fahrt vom Flughafen ins Dorf. Mir gefällt es hier auf Anhieb. Das ist der erste Ort auf meiner gesamten Südamerika-Reise von dem ich denke: "Hier will ich länger bleiben und wieder kommen."
Ok, alles hier ist sehr touristisch – aber eben noch nicht zu sehr. Tausende kommen jährlich hier her um Touren in den Madidi und Yacuma-Nationalpark zu unternehmen. Es gibt jede Menge günstige Hostels, gutes europäisch abgestimmtes Essen in Restaurants und abends Bars und Kneipen für die Gringos.
Ich buche als erstes eine 3-Tage-2-Nächte-Pampas-Tour. Das klingt etwas missverständlich, denn unter Pampas versteht man hier etwas anderes als das argentinische Grasland. Es handelt sich um das Sumpfdelta des Yacuma-Flusses. Hier ist die Vegetation weniger hoch und dicht und es besteht eine höhere Chancen Tiere zu sehen als im Dschungel des Madidi-Parks.
Als ob Rurrenabaque nicht schon abgelegen genug wäre geht es mit dem Jeep 3 Stunden 100km tief ins Delta, wo bereits Motorboote auf uns warten.

Eine höllische Holperpiste, in der Regenzeit auch mit 4WD kaum passierbar. Geregnet hat es jetzt seit einem Monat nicht mehr und eine riesige Staubwolke umgibt jedes Fahrzeug. Heiß ist es, Aircon gibt es nicht. D.h. offene Fenster ersetzen die Aircon und jedes Mal wenn wir ein anderes Fahrzeug überholen oder eines entgegen kommt, bekommen die Insassen eine weitere Schicht Staub ab.

Kurze Rast unterwegs für ein Getränk um den Staub wegzuspülen. Hier begegnet uns schon eine erste kleine Anaconda im Gras.

Ein Baby mit kaum 2 Meter Länge. 8 Meter sind die größten die es hier gibt. So eine zu finden wäre aber schon sehr großes Glück. Nach den 3 Stunden Straße kommen nun noch 2 Stunden Bootsfahrt hinzu.

Wesentlich bequemer, mit interessanten Vögeln in den Uferbäumen.


Ankunft in der Lodge, unser Heim für die nächsten 3 Tage.

Die Schlafhütten

Die Lounge

Der "Garten"

'Pepe', der Hauskaiman.


Ein Riesenvieh, 3,5m lang über 300 Kilo schwer. Er lebt unter der Küche und wartet das etwas abfällt. Pepe ist bei Weitem nicht der größte seiner Art, bis zu 7 Meter werden die Kaimane hier.
In der Nähe sonnt sich auch ein nur etwa halb so großer Alligator, der hält aber respektvoll Abstand zu Pepe.

Hinter dem Haus treibt sich eine Herde Totenkopfäffchen herum und plündert täglich den Komposthaufen.


Nicht wirklich zahm, aber auch keine Wildtiere mehr. Zu sehr haben sie sich an die Anwesenheit von Menschen und deren Leckereien gewöhnt. Zum Ausklang des Tages fahren wir zu einer Flussbar mit eiskaltem Bier zum Sonnenuntergang.

Sehr dekadent, aber eine schöne Überraschung an diesem abgelegenen Ort - so darf es weiter gehen.
Am nächsten Tag wollen wir Anacondas suchen. Dazu gehen wir in ihr bevorzugtes Jagdgebiet - den Sumpf.

Keine schattenspendenden Bäume hier, höllisch heiß - Wanderung in Gummistiefeln.

Schwärme von Moskitos kommen uns entgegen und verfolgen uns sofort. Mehr Follower als Justin Bieber auf Twitter. Alle in unserer Gruppe tragen lange Hosen und Shirts. Insekt-Repellent auf der Haut UND auf der Kleidung. Es hilft, aber nicht zu 100%. Wo die Kleidung anliegt stechen sie durch. Eine solche Attacke habe ich noch nirgends auf der Welt erlebt. Gut dass wir nach 1 Stunde eine kleine Anaconda im Baum entdecken.

Alle anderen Gruppen kommen auch angelaufen um die dösende Schlange zu sehen.

Kein Grund zur Eile, die ist vollgefressen und liegt sicher noch ein paar Wochen hier faul herum. Wir haben alle genug von der Hitze und den Moskitos. Unser Guide hat ein Einsehen und bricht die Wanderung ab. Statt dessen geht es zum Schwimmen - was für eine Wohltat.
Etwa 20 Meter entfernt spielen ein paar Flussdelfine.


Ich schwimme hin, aber da sind sie schon abgetaucht und weg - schade.
"Hier ist's ja gar nicht so tief", denke ich als ich mit dem Fuß den Boden berühre.
Als ich mich drauf stellen will sackt der Untergrund ab.
"Aha, denke ich mir - eine Wurzel" Ich verlagere das Gewicht und komme wieder auf der "Wurzel" zu stehen.
Dann ist sie wieder weg und...beißt mich in den großen Zeh!
"Aua! Was hat mich da gebissen?"
Ich halte meinen Zeh zur Begutachtung aus dem Wasser - zumindest blutet nichts. Zack! Da beißt es mich in den anderen großen Zeh. "Verdammt was ist hier los?"
Dann sehe ich den Beisser - es ist einer der Delfine, der sich unter mir herangeschlichen hat.
Später stellt sich heraus, dass ich nicht der Einzige bin der gebissen wurde. Die Tiere lieben es in menschliche Großzehen zu beißen. Schmerzhaft aber nicht wirklich gefährlich. Sie sind einfach nur verspielt, gelangweilt und neugierig. Später angeln wir mehr oder weniger (ich weniger) erfolgreich Piranhas.



Winzige Exemplare, da wird man nicht satt von.
Am Ende der 3 Tage geht es mit dem Jeep wieder die 3 Stunden zurück nach Rurrenabaque, dort 1 Tag Pause und weiter in den Madidi-Dschungel.

Die Anfahrt zu diesem Camp ist viel angenehmer. Ganz entspannt im Motorboot 3 Stunden den Beni-River hoch.

Am Ende nur ein kurzer Marsch durch den Wald und wir kommen an die Lichtung mit den Gebäuden unserer Dschungel-Lodge.



Längst nicht so komfortabel wie die Pampas-Lodge. Hier gibt es keine Hängematten und keinen Strom. Kein kühles Bier weit und breit.
Jeder sagt es einem – man wird hier im Dschungel kaum Tiere sehen. Eine Horde verwilderte Schweine ist die einzige tierische Begegnung in 3 Tagen hier. Der Gestank der Viecher ist kaum auszuhalten.
Unser Guide gibt sich alle Mühe, aber im grünen Dickicht ist es so gut wie unmöglich irgendetwas zu sehen. Sollte da mal etwas sein, hauen die Tiere ab lange bevor wir sie sehen können. Wir lernen statt dessen Einiges über Heilpflanzen im Wald und was man mit Lianen alles machen kann. Praktische Flaschenhalter z.B.


Für die langen Wanderungen durch den Wald habe ich nur meine Badeschlappen dabei. Der Guide geht in Gummistiefeln, alle anderen mit Wanderschuhen. Der Guide fragt wo meine Schuhe sind, ich sage ihm ich hab nur die Schlappen. Er meint so kann ich nicht in den Dschungel, da wären zu viele Dornen. Ich beschließe es trotzdem zu versuchen und besonders auf Dornen zu achten.

Was er nicht erwähnt hat waren die Ameisen. Ein Mal kurz nicht aufgepasst und in eine Ameisenstraße getreten, krabbeln 20 von denen an mir hoch und verbeißen sich an meinen Füssen. Das ist extrem schmerzhaft und brennt auch noch 20 Minuten später. Ab da achte ich vor allem auf Ameisen.

Egal ob Tag- oder Nachtwanderung, wir sehen keine weiteren Tiere. Viel Grün und große Bäume.


Wir sind nur eine kleine Gruppe, mit dabei ist Niko, ein streng gläubiger Jude aus New York. Vegetarier haben es ja schon nicht leicht hier in Südamerika, aber was alles zu beachten ist wenn man koscher essen will geht weit darüber hinaus.
Um keine der vielen Vorschriften bezüglich koscherer Ernährung zu verletzen hat er sein eigenes Ess- und Kochgeschirr dabei, kocht sich alle Mahlzeiten selbst. Bei einer der Wanderungen erklärt unser Guide dass Termiten ein leckerer, sauerer Snack für unterwegs sind, öffnet ein Termitennest und lädt uns ein zu probieren. Niko lehnt ab - vermutlich sind Termiten auch nicht koscher. Mit Kakerlaken hat er ein noch viel größeres Problem. In unserer Schlafhütte hat er ein paar entdeckt und ruht und rastet nicht bis er alle geräuschvoll erledigt hat. Ich verziehe mich während dieser Jagd nach draußen, er ist so eifrig mit einer Holzlatte bei der Sache, dass die ganze Hütte wackelt. Es rumpelt und scheppert noch eine ganze Weile bis er atemlos verkündet dass alle tot sind.
Im Dach des Toilettengebäudes hat sich ein Opossum versteckt – das war noch das außergewöhnlichste Tier das wir zu sehen bekamen.

Auch hier sind wir am zweiten Tag zum Angeln gegangen. Drei Mal hätte ich fast einen Fisch gefangen, leider sind alle 3 vom Haken gesprungen kurz bevor ich sie an Land ziehen konnte. Andere waren erfolgreicher.


Da wir an weiteren Märschen durch den Wald keinen Sinn sehen, gehen wir am 3. Tag zum Baden an den Fluss. Der Guide hatte uns gewarnt und sich zum ersten Mal selbst mit Insekten-Repellent eingeschmiert. Sandflies! "Wird so schlimm nicht werden", dachte ich. Oh doch! Es wurde schlimm. Im Wasser hat es die Creme abgespült und als ich heraus kam sind sie über mich her gefallen. Winzig klein, kaum zu sehen – aber mit lange anhaltendem Effekt. An die 100 Stiche in 2 Minuten – das gibt wieder schlaflose Nächte in der nächsten Woche.
Am sandigen Ufer finden wir die Spuren all der Tiere die wir nicht gesehen haben: Jaguar, Ozelot, Capibara und Tapir.

Zwei mal 3 Tage in der Wildnis. Trotz massivem Einsatz von Repellents zerstochen von oben bis unten – dennoch ist dieser Trip absolut empfehlenswert. Nachts ist es angenehm kühl. Auch wenn die Unterkunft primitiv war, selten habe ich so gut geschlafen wie hier und in der Pampas.
Zurück in Rurrenabaque habe ich noch 2 Tage bis zum Rückflug nach La Paz. Ich teile ein Zimmer mit Niko und Justin einem Deutschen. Als es ans zahlen geht ist Niko gerade nicht da und Justin legt seinen Anteil am Zimmer aus. Morgen ist Samstag – wer hätte gedacht wie kompliziert das werden kann. Samstag ist Sabbath und da darf ein Jude kein Geld anfassen. Aus diesem Grund weigert sich Niko am nächsten Tag seinen Anteil zu begleichen.
Am Sabbath darf keiner arbeiten, auch nicht im E-Werk. Deswegen kann Niko heute nicht mit Strom kochen oder das Licht oder den Ventilator einschalten. Bus, Taxi, Flieger – alles verboten am Samstag. Er kann sich nichts zu essen oder zu trinken kaufen. Ich stelle fest: Reisen als streng gläubiger Jude ist nicht einfach.